Sehr verehrte Frau Hose, sehr geehrte Damen und Herren,
wir würden uns nicht einigen können – egal, wie lang der Abend wird –, wenn wir uns über Sinn und Unsinn des Erlernens alter Sprachen austauschen wollten – zumindest, wenn wir die Argumente in eine allgemein anerkannte Reihenfolge bringen wollten. Zu viele Meinungen gibt es dazu und zu viele Begründungen dafür. „Zweckfrei“ sei es, sagen die einen; zahlreiche Gründe für das Erlernen alter Sprachen führen die anderen an: von kulturwissenschaftlichen über soziologische bis zu handfesten pragmatischen Gründen.
Die Mutter einer Mitschülerin ließ ihre Töchter Griechisch lernen, weil sie von Camus und Sartre im Französisch-Unterricht genug hatte – und es gibt Manager, die mit Effizienz-Argumenten aufwarten, ja, es lässt sich der volkswirtschaftliche Nutzen des Griechischen beschwören. Nur eines steht m. E. fest: Die alten Sprachen sterben nicht aus. Dabei ist genau das in den letzten Jahrzehnten mit großer Regelmäßigkeit vorhergesagt worden: das Ende des altsprachlichen Gymnasiums.Dass es dazu nicht gekommen ist, dazu haben die „Römer“ beigetragen; ein Automatismus war es nicht. Ich will einige der Themen in Erinnerung rufen, mit denen die Römer sich in den vergangenen zwanzig Jahren beschäftigt haben: die Anforderungen in Graecum und Latinum und die Entwicklung fremdsprachlichen Unterrichts überhaupt, auch des Englischen, das von der weiterführenden Schule in die dritte und dann in die erste Klassenstufe vorgezogen wurde, die Ausgestaltung der Profiloberstufe, die Stellung des Lateinunterrichts auch außerhalb des altsprachlichen Gymnasiums, das Projekt der sechsjährigen Primarschule von Frau G. – und leider auch ihre Kündigung der Gastschulabkommen mit den Nachbarländern. Die Liste ließe sich erheblich verlängern; die Römer haben dabei Cäsarisches geleistet.„Die Römer“, das sind einige wenige Heroen und vor allem zahlreiche Heroinen, denen die Tageszeitung „Die Welt“ heute anlässlich ihres 20jährigen Bestehens einen langen Artikel widmet. Falls nicht alle von Ihnen sie kennen, möchte ich sie Ihnen vorstellen: Frau Bertheau vom Johanneum hat das Amt der Sprecherin – fast das Ruder eines schulpolitischen Schiffs – von Frau Dahlke und Frau Lüders vom MCG übernommen. Die beiden übten ihre Leitung in einer Art Triumvirat mit Frau Schütt vom Christianeum aus, die zuvor bereits Sprecherin gewesen war: Erst zusammen mit Frau Weitzel, ebenfalls vom Christianeum, dann zu dritt mit mir (vom Hansa-Gymnasium). Ich denke mit größter Freude an die Zeit und die ungezählten E-Mails zurück, aufgrund derer ich wieder und wieder allen Grund hatte, die beiden als „meine Musen“ anzusehen und anzuschreiben; für mich das reine Vergnügen. Übernommen hatten wir von Frau Vaerst vom Johanneum, die jahrelang die Geschicke der Römer geleitet hatte als eine Art Inkarnation der Römer – ich dachte irrtümlich, sie sei eine der Gründerinnen. Aber das war falsch berechnet: Sie hatte von Frau Paul vom Wilhelm-Gymnasium und Herrn Dr. Schwandt vom Christianeum übernommen – doch alles zu verdanken haben wir Frau von Vogel vom Christianeum und Frau Pinckernelle vom Johanneum, den tatsächlichen Gründerinnen des Römer-Kreises: Ich bitte dafür um Applaus!
Sofern die damaligen Schulleiter dachten, da hätten sich ein paar unterbeschäftigte Mütter zusammengefunden, dann zeigte sich bald, wie falsch diese Einschätzung war. Denn mit enormer Energie, Phantasie und Ausdauer veranstalteten die Römer alle zwei Jahre Hamburgs größtes Schulfest, den „Römertag“, und luden in den Jahren dazwischen zu weiteren Abenden ein, darunter hervorragende Vorträge herausragender Professoren und Minister – ich nenne nur Prof. Dr. Maier, Minister Dr. Spaenle und Herrn Prof. Dr. Kipf, der auch heute aus Berlin zu uns gekommen ist: herzlichen Dank dafür!
Dass die Römer es geschafft haben, die Schulleiter ihrer sieben Gymnasien – Gelehrtenschule des Johanneums, Gymnasium Christianeum, Wilhelm-Gymnasium, Matthias-Claudius-Gymnasium, Sankt-Ansgar-Schule, Friedrich-Ebert-Gymnasium und Hansa-Gymnasium – mehrfach zusammenzubringen, ist sicherlich eine Rarität; ich vermute, dass es auch in den Räumen der Schulbehörde selten Gelegenheiten gibt, wo sie alle sich begegnen werden. Zu den Elternräten und Freunden hat sich heute ein Sponsor, nein: ein Mäzen im besten Sinne des Wortes gesellt, die Warburg-Melchior-Olearius-Stiftung aus Hamburg, die altsprachlichen Unterricht in dieser Stadt in großzügiger Weise unterstützt: auch dafür herzlichen Dank!
Wer vor 20 Jahren die Prognose abgegeben hätte, dass die Römer bis 2012 derartige Erfolge hervorbringen würden, wäre mit Sicherheit belächelt worden. Die Arbeit war immens – man kann sich kaum noch vorstellen, wie das damals mit Fax und Kohlepapier-Durchschlägen ging –, und die Erfolge waren es erst recht. Und als einziger Grund, warum es jemals einmal keinen Römertag mehr geben sollte, lässt sich heute eigentlich nur noch denken, dass sich kein Termin mehr fände: Der Römertag selbst ist zu einer festen Institution geworden.
Wenn wir also den Blick auf das Jahr 2017 richten, das 25jährige Jubiläum, oder auf 2042, das 50jährige Jubiläum, dann lässt sich eines sagen: Die „Römer“ werden da sein. Vielleicht ist das Gymnasium dann eine Ganztagsschule, vielleicht wird es Einheitsschulen geben – aber die „Römer“ werden da sein, und zwar weiterhin als eine Minderheit: Anders geht es ja nicht. Sie werden kein CCH füllen, sondern eine Elite im besten Sinn des Wortes sein. Sie werden über Sinn und Zweck des Erlernens alter Sprachen Auskünfte geben können, und sie werden berichten können, dass sich die friedliche Koexistenz unterschiedlicher Kulturen – anders als ein undifferenziertes Multi-Kulti – durch die Beschäftigung mit der griechischen Antike und Kultur bestens fördern, ja, dass sich ein Europa der Zukunft darauf aufbauen lässt – natürlich unbeschadet der Notwendigkeit, die französische Sprache zu erlernen.
Was werden wir dann tun? Vielleicht genießen wir hier oder anderswo die Sprachen des Vatikans, des Neuen oder des Alten Testaments; vielleicht sind wir noch dabei, in einer Art Mischung aus „Feuerzangenbowle“ und „Club der toten Dichter“. Vielleicht kämpfen wir dafür, altsprachliche Ausdrücke in unserer Sprache zu vermeiden und gefälligst ins Deutsche zu übertragen, wie es mein erster Griechischlehrer mit Verve tat. Sicherlich wird jeder von uns an seinem Platz weiter dafür werben, Bildung nicht in erster Linie als eine Sache des Intellekts anzusehen, sondern als Charakter- und Herzensbildung zu behandeln. Cäsarisches mögen wir vergessen haben, Ovidisches hoffentlich nicht. Möge dieser Abend dem Austausch gewidmet sein, dem fröhlichen Feiern, und dem Dank: Dank für 20 Jahre „Römer“, Dank dafür, dass wir in kulinarischer Verwöhnung hier sein dürfen, sehr verehrte, liebe Frau Hose, und Dank für die guten Lehrer, denen wir unsere Kinder – das Kostbarste, was wir haben – bedenkenlos anvertrauen können. Für dies alles ein sehr, sehr herzlicher Dank!
Dr. Hermann A. Richter
31.10.2012 in der Gelehrtenschule des Johanneums